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Hinweise zum Umgang mit Strompreissteigerungen – Sozialgerichte sind gefordert

Die Stromkosten werden sich im Jahr 2023 um durchschnittlich 61 % erhöhen, so https://t1p.de/1e4nc, in einzelnen Fällen gibt es Erhöhungen von über 100 %. Im SGB II/SGB XII Regelsatz sind für Alleinstehende im Jahr 2022 derzeit 36,43 € Stromkosten enthalten. Wenn die geplanten Regelsätze des Bürgerhartzgeld durchkommen, beträgt der Betrag für Stromkosten dann im kommenden Jahr 40,73 €, das ist eine Erhöhung von 11,8 %.  
Abgesehen davon, dass der Anteil für Stromkosten schon seit Jahren nicht mehr bedarfsdeckend war, ist mit dieser geplanten Erhöhung der Stromkosten im Regelsatz die reale Preissteigerung der Stromkosten nicht im Ansatz ausgeglichen. Eine Vielzahl von Grundsicherungsleistungen beziehenden Haushalte hat deutlich höhere Stromkosten. Zudem sind die bei dezentraler Warmwasserversorgung die zu übernehmenden Kosten gedeckelt, eine Erhöhung der dort vorgesehenen Beträge ist wegen der Erfordernis eine separate Zähleinrichtung zu besitzen ausgeschlossen (§ 21 Abs. 7 S. 3 SGB II).  

Das BVerfG hat zu etwaig zu erwartenden Energiesteigerungen im Jahr 2014 geurteilt: „Ergibt sich eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, muss der Gesetzgeber zeitnah darauf reagieren. So muss die Entwicklung der Preise für Haushaltsstrom berücksichtigt werden [… ]. Ist eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen, darf der Gesetzgeber dabei nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten“ (BVerfG 23.7.2014 - 1 BvL 10/12; 1 BvL 12/12; 1 BvR 1691/13; Rn 144).
Dann führt das BVerfG weiter aus: „Auf die Gefahr einer Unterdeckung kann der Gesetzgeber durch zusätzliche Ansprüche auf Zuschüsse zur Sicherung des existenznotwendigen Bedarfs reagieren. Fehlt es aufgrund der vorliegend zugrunde gelegten Berechnung des Regelbedarfs an einer Deckung der existenzsichernden Bedarfe, haben die Sozialgerichte Regelungen wie § 24 SGB II über gesondert neben dem Regelbedarf zu erbringende einmalige, als Zuschuss gewährte Leistungen verfassungskonform auszulegen“, (BVerfG 23.7.2014 - 1 BvL 10/12; 1 BvL 12/12; 1 BvR 1691/13; Rn 116). Siehe dazu: https://t1p.de/oomu7

Diese vom BVerfG beschriebene Situation trifft derzeit zu. Entweder wird die Haushaltsenergie jetzt im Rahmen der Verhandlungen um das Bürgergeld kurzfristig aus den Regelleistungen rausgenommen, oder die Stromkosten, die sich oberhalb der Beträge, die dafür im Regelsatz vorgesehen sind, sind im Rahmen des Härtefallmehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II bzw. abweichende Regelleistungen nach § 27a Abs. 4 SGB XII zu übernehmen.

Sollte der Gesetzgeber nicht ausreichend reagieren, müssen die Gerichte in verfassungskonformer Auslegung reagieren“ (BVerfG, 23.7.2014 - 1 BvL 10/12; 1 BvL 12/12; 1 BvR 1691/13; Rn 116). Die Möglichkeit verfassungskonform auszulegen besteht im SGB II über den Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II. Dieser Anspruch besteht unter anderem bei laufenden, unabweisbaren Bedarfen, Haushaltsenergie dürfte unzweifelhaft unabweisbare Bedarfe sein.

Das BSG hat im Jan. 2022 klargestellt, dass bei 7,52 € monatlich kein unabweisbarer Bedarf vorliegt (BSG, 26.1.2022 - B 4 AS 81/20 R). In Bezug auf das SGB XII hat das BSG einen Anspruch auf Übernahme monatlicher Aufwendungen für Hygienekosten in Höhe von 20,45 € als „unabweisbaren Bedarf“ nach § 73 SG B XII gesehen (BSG,19.8.2010 − B 14 AS 13/10 R; LPK-SGB II, 7. Aufl., § 21 Rn 44). Das LSG Hamburg hat „keine Zweifel, dass bei einem regelmäßigen monatlichen Aufwand von - mindestens - 20 Euro ein erhebliches Abweichen von dem durchschnittlichen Bedarf besteht“ (LSG Hamburg, 5.8.2021 - L 4 AS 25/20, Rn 58). In einem anderen Fall den das BSG entscheiden hat, dass die Unabweisbarkeit bei 27,20 € pro Monat erreicht sei (BSG, 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R).

Daraus könnte die Position vertreten werden, dass spätestens dann, wenn die Kosten mehr als 20 EUR/mtl. den Betrag übersteigen, der für Haushaltsenergie im Regelsatz vorgesehen ist, dass dann ein Mehrbedarfsanspruch nach § 21 Abs. 6 SGB II in voller Höhe für den Betrag besteht, der den im Regelsatz dafür vorgesehen übersteigt. Bei derart eklatanten Preissteigerungen und selbst mit den für 2023 geplanten Erhöhungen der Regelleistungen im Bürgerhartz-Gesetz, ist es nicht mehr zumutbar, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich auszugleichen. Entsprechend bedarf es einer individuellen Regelsatzerhöhung nach § 27a Abs. 4 SGB XII oder Anpassung der Regelbedarfe entsprechend des für das SGB XII geplanten Einführung einer Härtefallregelung nach § 30 Abs. 9 SGB XII – E.
Höhe der in den Regelleistungen vorgesehenen Beträge für Haushaltsenergie 2018 – 2023: https://t1p.de/0n1d1

Hier sind jetzt mal die Sozialgerichte gefordert, nicht ständig alle Anträge auf höhere Regelleistungen aus formellen Gründen abzulehnen, sondern im  Zweifel den Sachverhalt von Gerichtswegen zu ermitteln und den Arbeitsauftrag des BVerfG zur verfassungskonformen Auslegung erst zu nehmen.

Harald Thomé

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