1. Beziehende von Leistungen der Grundsicherung

„Bürgergeld“ / Alg II / Hartz IV / Sozialhilfe / Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung / Hilfe zum Lebensunterhalt / Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

1.1 Übernahme von Heizkosten während des Leistungsbezuges

1.1.1 Sozialrechtliche Grundlagen zur Berücksichtigung von Heizkosten

Unterkunfts- und Heizkosten sind bei Bezug von grundsichernden Leistungen in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II/§ 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) soweit sie „angemessen“ sind. Eine Begrenzung der Kosten auf angemessene Unterkunftskosten, ist allerdings nur nach Abschluss eines Kostensenkungsverfahrens möglich. Wurde zuvor keine wirksame Kostensenkung durchgeführt und beschieden, ist eine Begrenzung auf angemessene Kosten für Bewilligungszeiträume, die von März 2020 bis einschließlich Dezember 2022 beginnen, aufgrund des Sozialschutzpakets und der dort geregelten „Angemessenheitsfiktion“ rechtswidrig (§ 67 Abs. 1 S. 1 SGB II i. V. m. § 1 Abs. 1 VZVV; § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II/ § 141 Abs. 3 S. 1 SGB XII). Das ist im Übrigen auch auf Heizenergiekosten anzuwenden, die aufgrund eines sehr hohen Energieverbrauchs entstanden sind.

Durch die Umbenennung von „Hartz IV“ (bzw. Arbeitslosengeld II/Sozialgeld) zu „Bürgergeld“ zum 1. Januar 2023 ändert sich für Personen, die bereits im Bezug von SGB-II-Leistungen stehen, bei den Kosten für Unterkunft und Heizung nichts. Bereits laufende „Schutzfristen“ wirken fort. Menschen, die nach dem 01.01.2023 neu in den Leistungsbezug nach SGB II sowie nach dem Dritten oder Vierten Kapitel SGB XII kommen, profitieren i.d.R. von der neuen einjährigen Karenzzeit, in der u.a. die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft anerkannt werden. Erst nach Ablauf der Karenzzeit darf ein i.d.R. sechsmonatiges Kostensenkungsverfahren eingeleitet werden. Nach dem Kompromiss im Vermittlungsausschuss wurden die Heizkosten bei dieser Regelung allerdings ausgenommen, so dass diese nur in „angemessenem“ Umfang übernommen werden, wobei entgegen der „normal“ geltenden Regelung (s.u.) bei der Bemessung der Angemessenheitsgrenzen in der Karenzzeit nicht die angemessene, sondern die tatsächliche Wohnfläche zur Berechnung berücksichtigt werden soll.

Bei der Übernahme der Heizkosten im Rahmen der Kosten für Unterkunft und Heizung gilt, dass die tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt werden müssen, soweit sie einen „angemessenen“ Umfang nicht übersteigen. Nicht erstattungsfähig sind Heizkosten lediglich dann, wenn sie bei sachgerechter und wirtschaftlicher Beheizung der Höhe nach nicht erforderlich erscheinen (vgl. BSG vom 02.07.2009 - B 14 AS 36/08 R). Letzteres ist zum einen in Bezug auf die Heizkosten nach der Besonderheit des Einzelfalles zu prüfen, zum anderen kann eine Angemessenheit von Heizkosten nur an der verbrauchten Energiemenge, nicht jedoch an einem geforderten Energiepreis festgemacht werden (vgl. BSG vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R).

Die kommunalen Träger, die für die Gewährung der Unterkunftskosten zuständig sind, werden künftig dafür Sorge zu tragen haben, dass die angemessenen Heizkosten in Höhe des tatsächlichen Preises des jeweiligen Energieträgers erstattet werden. Das betrifft sowohl die Übernahme der Abschlagszahlungen, der Nachforderung am Ende des Abrechnungszeitraums als auch die einmalige Beschaffung von Brennstoffen, wie z.B. die Befüllung des Öltanks. Wenn der kommunale Träger die angemessenen Unterkunftskosten in Form einer Gesamtangemessenheit beurteilt (§ 22 Abs. 10 SGB II; „Bruttowarmmietekonzept“), muss gewährleistet sein, dass auch bei der Beurteilung der Aufwendungen für Heizung das aktuelle Preisniveau des jeweiligen Heizenergieträgers berücksichtigt wird.

Zu den Unterkunfts- und Heizkosten gehören auch einmalige Bedarfe, wie Nachzahlungen infolge von Jahresabrechnungen für Heiz- oder Betriebskosten. Wir behandeln hier nicht zuletzt aus systematischen Gründen nur Nachzahlungen für Heizkosten. Handelt es sich um eine Heizkostennachzahlung für die aktuell bewohnte Wohnung, ist es unerheblich, ob die Nachforderung in Zeiten des Nichtleistungsbezuges entstanden sind (BSG, 24.11.2011 - B 14 AS 121/10 R). Zu den Heizkosten gehören auch die einmaligen Beschaffungskosten von Heizmitteln (Brennstoffbeschaffungskosten), also die Kosten für die Befüllung von Tanks und sonstigen Lagerstätten mit Öl, Gas oder Pellets sowie größere Anschaffungen von Holz, Kohle oder sonstigen Brennstoffen (BSG, 8.5.2019 - B 14 AS 20/18 R; BSG, 29.11.2012 - B 14 AS 36/12 R). Diese Brennstoffbeschaffungskosten sind nicht als Durchschnittsbetrag zu berücksichtigen und auf einen längeren Zeitraum umzulegen, sondern ausschließlich im Fälligkeitsmonat als Heizkosten in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen (BSG, 8.5.2019 - B 14 AS 20/18 R).

Der Anspruch auf Übernahme einer Heizkostennachzahlung besteht zunächst nur für eine aktuell bewohnte Wohnungen. Erfolgt die Nachzahlung für eine nicht mehr bewohnte Wohnung nach der Schlussabrechnung, besteht ein Übernahmeanspruch nur, wenn ein Wohnungswechsel aufgrund eines Kostensenkungsverfahrens erfolgte (BSG, 20.11.2011 - B 4 AS 9/11 R) bzw. dem Wohnungswechsel aus anderen Gründen vom Jobcenter/Sozialamt zugestimmt wurde oder – wenn der Umzug vor dem Leistungsbezug erfolgte – wenn dem Umzug in die aktuelle Wohnung aufgrund eines wichtigen Grundes hätte zugestimmt werden müssen.

Zu den Heizkosten können auch Stromkosten zum Heizen (Heizstrom) gehören und der Betriebsstrom für eine Heizanlage. Betriebsstrom wird meist mittels Pauschalen erstattet (i.d.R. in Höhe von 5 Prozent der Heizenergiekosten). Wird der Heizstrom nicht getrennt vom Haushaltsstrom gezählt, gibt es regelmäßig Probleme, die tatsächlichen Heizkosten zu ermitteln. In solchen Fällen schlagen wir bei Nachzahlungsforderungen, die sich aus der Jahresverbrauchsabrechnung ergeben, folgendes Verfahren vor:
Von den Jahreskosten für Strom wird der zwölffache Anteil der monatlichen Stromkosten, die im Regelsatz berücksichtigt wurden (https://t1p.de/vwhz0) subtrahiert. Bei entsprechender Fallkonstellation muss zusätzlich der zwölffache Mehrbedarf für dezentrale Warmwasserbereitung in Abzug gebracht werden. Die verbleibenden Stromkosten sind dann als Heizkosten des Abrechnungsjahrs zu berücksichtigen.

Wenn für Heizkosten kein separater Zähler vorhanden ist, kommt für das BSG auch eine Schätzung des Heizkostenanteils in Betracht. Diese darf aber nicht „ins Blaue“ hinein erfolgen, sondern muss eine realistische Grundlage haben. Anknüpfungspunkt kann die mietrechtliche Rechtsprechung sein (BSG, 20.8.2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, 3.12.2015 - B 4 AS 47/14 R).

1.1.2 Laufende Heizkosten

Es ist davon auszugehen, dass die Heizkosten der meisten Leistungsberechtigten in Höhe der tatsächlichen Kosten zu berücksichtigen sind, wenn bei der Prüfung der angemessenen Heizkosten die tatsächlichen Energiepreise zugrunde gelegt werden. Sollten die kommunalen Träger anders verfahren und veraltete (und damit zu niedrige) Energiepreise, z.B. vom Vorjahr, zugrunde legen oder sich an der ebenfalls veralteten Heizspiegeltabelle „Kosten in Euro je m² und Jahr“ orientieren, erfolgt die Beurteilung der angemessenen Heizkosten nicht sachgerecht und sollte mit Widerspruch und Klage (s. 5.2.15.2.2) angegriffen werden.

Eine Kappung/Deckelung der Heizkosten in Höhe der Angemessenheitsgrenze (orientiert an den tatsächlichen Energiepreisen, siehe 1.1.1) darf nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles und nach Abschluss eines, die Heizkosten betreffenden, Kostensenkungsverfahrens mit i.d.R. sechsmonatigem Kostensenkungszeitraum vorgenommen werden. Hierzu ist ein widerspruchsfähiger Kostensenkungsbescheid erforderlich. Gegen diesen kann Widerspruch eingelegt werden bzw. bei Bestandskraft eine Korrektur mit einem Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X eingeleitet werden, wenn bei der Kostensenkungsentscheidung die Besonderheiten des Einzelfalles, etwa äußere Umstände, die von den Leistungsberechtigten nicht zu beeinflussen waren, nicht berücksichtigt wurden.

Wurden die Heizkosten per Kostensenkungsverfahren begrenzt, ist zu beachten, dass während der „Sozialschutz“-Bewilligungszeiträume, die zwischen dem 01.03.2020 und dem 31.12.2022 begonnen haben, eine Kostensenkung rechtswidrig (gewesen) wäre. Rechtswidrige aber bereits bestandskräftige Kostensenkungsverfahren können im Regelfall mittels Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X korrigiert werden.

1.1.3 Übernahme von Heizkostennachforderungen und Brennstoffbeschaffungskosten

Einmalige, die Heizkosten betreffende Nachforderungen am Ende eines Abrechnungszeitraums oder einmalige Kosten für die Beschaffung von Heizmaterial sind im Fälligkeitsmonat als Heizkosten in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen und durch den Leistungsträger zu übernehmen.              
Der Zeitraum der Fälligkeit einer Forderung beginnt, wenn nichts Abweichendes vereinbart wurde (Zahlungsfrist), mit dem Zugang der Rechnung und endet mit dem Zugang der Mahnung. In diesem Zeitraum muss ein Leistungsanspruch bestehen.          
Um sicherzugehen, dass die Forderung zeitnah beglichen wird, empfehlen wir, die Abrechnung bzw. Rechnung unverzüglich und beweissicher beim Leistungsträger einzureichen.

Ausnahme: Wenn in Bezug auf die Heizkosten nach Ablauf der Kostensenkungsfrist bereits rechtskräftig über eine Kostensenkung entschieden wurde, ist eine Begrenzung der zu berücksichtigenden Heizkosten auf die Angemessenheitsgrenze (orientiert an den tatsächlichen Energiepreisen, siehe 1.1.2) möglich. Demzufolge könnte eine Nachzahlung, die zusammen mit den im Abrechnungszeitraum durch den Träger geleisteten Vorauszahlungen die rechtmäßig bestimmten Angemessenheitsgrenzen überschreitet, auf diese gekappt bzw. gedeckelt werden.

In den meisten Fällen jedoch werden Nachforderungen für die Heizkosten am Ende des Abrechnungszeitraums und Bevorratungskosten von den Jobcentern und Sozialämtern zu übernehmen sein. Zumal eine Begrenzung der Unterkunftskosten nur nach vorherigem Abschuss eines Kostensenkungsverfahrens und dem Erlass eines entsprechenden Bescheides zulässig ist.

Der Anspruch auf Übernahme der Kosten sollte rechtzeitig durch Vorlage der Abrechnung bzw. Energierechnung geltend gemacht und es sollte vorsorglich darauf hingewiesen werden, wann der Betrag fällig ist. Zudem ist zu klären, ob die Behörde einen Nachzahlungsbetrag direkt an den Vermieter oder Energieversorger leisten soll.

Der Leistungsträger wiederum hat den Antragstellenden über eine Direktzahlung zu unterrichten (§ 22 Abs. 7 S. 4 SGB II, § 35 Abs. 1 S. 5 SGB XII). Den Anspruch auf Übernahme einmaliger Kosten für Heizung können Leistungsbeziehende notfalls auch später rückwirkend für die Zeit bis zum ersten Januar des jeweiligen Vorjahres geltend machen, wenn zu diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Leistungen bestand (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 2 SGB II). Das gilt auch, wenn die Forderungen bereits beglichen wurden.

1.1.4 Sonderfall SGB II: Übernahme von höheren Heizkosten und Heizkostennachforderungen bei Begrenzung der Unterkunftskosten wegen Umzugs trotz fehlender Umzugserfordernis

Wegen Umzugs trotz (angeblich) fehlender Umzugserfordernis können Jobcenter die Unterkunfts- und Heizkosten dauerhaft auf die jeweils angemessenen Kosten der vorherigen Wohnung begrenzen (§ 22 Abs. 1 S. 2 SGB II).

Das BSG hat dazu klargestellt, dass bei der Anpassung der örtlich angemessenen Miet-, Betriebs- und Heizkosten auch die Begrenzung nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II um diesen Erhöhungsfaktor dynamisch angepasst werden muss (BSG, 23.8.2012 - B 4 AS 32/12 R). In Bezug auf die laufenden Heizkosten und die Heizenergie betreffende Nachforderung müssen demnach die bisherigen Heizkosten zumindest um den Faktor der tatsächlichen Heizenergiepreissteigerung „dynamisiert“ werden, d.h. es entstehen Spielräume für die Übernahme von höheren Heizkosten und Nachforderungen. Die Bewilligungsbescheide sind auf diese Dynamisierung hin zu überprüfen und können bei Bedarf mit Hilfe von Überprüfungsanträgen nach § 44 SGB X korrigiert werden.

Umstritten ist die Frage, ob diese Begrenzung der Unterkunftskosten wegen fehlender Umzugserfordernis während der Ausnahmeregelung infolge der Sozialschutzpakete überhaupt anwendbar ist. Das bayerische LSG hat z.B. entscheiden, dass während der „Sozialschutz“-Bewilligungszeiträume, die zwischen dem 01.03.2020 und dem 31.12.2022 begonnen haben, eine Begrenzung der Unterkunftskosten wegen eines Umzuges trotz fehlender Umzugserfordernis infolge der Angemessenheitsfiktion des § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II nicht erfolgen könne und rechtswidrig sei (LSG Bayern, 28.7.2021 - L 16 AS 311/21 B ER, Rn 37).

1.1.5 Sonderfall AsylbLG: Differenzierung nach Unterbringung und Aufenthaltsdauer

Für Geflüchtete, die während der ersten 18 Monate des Aufenthalts in Deutschland Grundleistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und nicht in einer Aufnahmeeinrichtung leben, sind Bedarfe für Unterkunft und Heizung i.d.R. als Geldleistung in tatsächlicher Höhe zu übernehmen, soweit sie „notwendig und angemessen“ sind (§ 3 Abs. 3 AsylbLG). Hier sind bei den laufenden Aufwendungen für die Unterkunft steigende Heizenergiekosten genauso zu berücksichtigen wie daraus resultierende Nachforderungen.

Das Gleiche gilt prinzipiell auch für Personen mit länger als 18-monatigem Aufenthalt, die „Analogleistungen“ § 2 Abs. 1 AsylbLG erhalten. Hier leitet sich die Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung jedoch aus § 35 Abs. 1 SGB XII ab, mit den etwas großzügigeren Angemessenheitsregelungen des SGB XII (Verfahrensweise wie unter 1.1.1 bis 1.1.3).

1.2. Sozialrechtliche Lösungen zur Übernahme der Kosten für Haushaltsenergie

1.2.1 Ausgangslage

Um Energiearmut von Leistungsberechtigten mit Blick auf den Strom wirksam zu bekämpfen, fordern wir eine separate bedarfsdeckende Erstattung der tatsächlichen Haushaltsenergiekosten im Rahmen der Kosten für Unterkunft und Heizung orientiert an einem auskömmlichen Energiekontingent. Eine solche Veränderung ist jedoch aktuell nicht abzusehen und solange es keine gesetzliche Regelung in Bezug auf eine adäquate bedarfsdeckende Regelsatzerhöhung oder (hilfsweise) laufende Energiebeihilfen (in bedarfsdeckender Höhe) gibt, stehen nur die geläufigen sozialrechtlichen Instrumente zur Verfügung: die darlehensweise Kostenübernahme bzw. – stark eingeschränkt – der Darlehenserlass bzw. die Darlehensstundung (s. 1.2.2) oder der Härtefallmehrbedarf bzw. Regelsatzanpassung (s. 1.2.3).

Es ist jedoch generell davon auszugehen, dass sowohl Jobcenter als auch Sozialämter die Instrumente Darlehenserlass bzw. -stundung oder Bewilligung eines Mehrbedarfs im Rahmen der Härtefallregelung bzw. die flexible Erhöhung der Regelsätze in Bezug auf die aktuell galoppierenden Energiepreise nicht anwenden werden und dass Leistungsberechtigte bereit sein müssen, solche Ansprüche bei Bedarf vor Gericht durchzusetzen.

Wir schlagen hier vor, koordinierte, durch Wohlfahrtsverbände unterstützte, und anwaltlich vertretene Musterklagen voranzubringen, um die rechtlichen Spielräume mittelfristig zu erweitern.

In einem aktuellen „Informationsschreiben zum Umgang mit den gestiegenen Energiekosten sowie mit den in diesem Zusammenhang gewährten Sonderzahlungen“ vom 29.11.22 erklärt das BMAS, dass „die Annahme, dass gestiegene Aufwendungen für Haushaltsstrom generell unausweichlich sind und oberhalb durchschnittlicher Bedarfe liegen“ nicht ausreiche, um eine Anpassung der Regelbedarfe nach § 27 Abs. 4 SGB XII zu begründen, da es „Leistungsberechtigten ebenso wie Personen außerhalb des Leistungsbezugs zumutbar [sei], Einsparungen an anderer Stelle vorzunehmen, um Mehrausgaben aufzufangen“. Wir sind jedoch anderer Ansicht und sehen es, trotz der Rechtsauffassung des BMAS, durchaus als erfolgsversprechend an, diese Ansprüche im Klageverfahren vor Sozialgerichten zu erstreiten.

 

1.2.2 Nachforderung für Haushaltsenergie am Ende des Abrechnungszeitraums

Zunächst sollte die Übernahme von aktuellen Nachforderungen im Bereich der Haushaltsenergie als Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II / § 37 Abs. 1 SGB XII für einen von der Regelleistung umfassten, unabweisbaren Bedarf beantragt werden. Ein solches Darlehen wird im SGB II in den Folgemonaten mit zehn Prozent - ab Juli 2023 mit 5% - der Regelleistung der Darlehensnehmerin bzw. des Darlehensnehmers mit der zustehenden Leistung aufgerechnet (§ 42a Abs. 2 SGB II). Im SGB XII beträgt die Aufrechnungshöhe bis zu fünf Prozent des Eckregelsatzes. Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II bzw. § 37 Abs. 1 SGB XII für aktuelle Forderungen sind niedrigschwellig zu gewähren, wenn die Kosten auf keine andere Weise gedeckt werden können. Daher empfehlen wir, dieses Darlehen zeitnah mit der Fälligkeit der Forderung zu beantragen, damit es eindeutig dem aktuellen Bedarf zugeordnet werden kann.

Ist die Forderung schon älter und wurde sie unter Umständen bereits angemahnt, besteht das Risiko, dass der Leistungsträger sie als Energieschulden deklariert und lediglich ein Darlehen zur Übernahme von Energieschulden (§ 22 Abs. 8 SGB II, § 36 SGB XII) in Betracht zieht, an das jedoch zusätzliche Voraussetzungen geknüpft sind (siehe 1.2.4).

Wurde das Darlehen für einen von der Regelleistung umfassten, unabweisbaren Bedarf gewährt, kann im SGB II eine Umwandlung des Darlehens in eine Beihilfe (bzw. Erlass der Rückforderung) nach § 44 SGB II beantragt werden, weil die Rückforderung „angesichts außergewöhnlicher Preissteigerungen bei einer derart gewichtigen Ausgabeposition“ eine unbillige Härte darstellt. (BVerfG, 23.07.2014, 1 BvL10/12, Rn 144; die vom BVerfG angemahnte außerplanmäßige Erhöhung der Regelbedarfe wurde von der Bundesregierung bisher nicht umgesetzt). Im SGB XII wäre in dieser Konstellation nur ein Antrag auf dauerhafte Stundung möglich (Aufrechnung mit bis zu 5 Prozent des RB, § 37 Abs. 4 SGB XII; analog der BMAS-Weisung für die Übernahme der Kosten für digitale Endgeräte für den Distanzunterricht vom Februar 2021).

Bei einer sehr hohen einmaligen Nachforderung für Haushaltsenergie wäre im SGB II auch ein Antrag auf eine Beihilfe nach § 21 Abs. 6 SGB II (Härtefallmehrbedarf) möglich, wenn ein Darlehen nach 24 Abs. 1 SGB II wegen der Höhe der Nachforderung „ausnahmsweise nicht zumutbar“ ist.

1.2.3 …auch bei höheren Abschlagszahlungen für Strom

Bei laufenden Abschlagszahlungen für Haushaltsenergie, die sehr stark von den im Regelsatz vorgesehenen Strombedarfen abweichen, wäre ebenfalls ein Antrag auf einen Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II möglich, wobei bei laufenden Bedarfen die Anforderungen zur Gewährung des Härtefallmehrbedarfs geringer sind als bei einmaligen Bedarfen.

Im SGB XII gibt es ab Januar eine entsprechende Regelung, allerdings nur für einmalige nicht aber für laufende Härtefallmehrbedarfe (§ 30 Abs. 10 SGB XII). Alternativ können bei SGB XII Leistungsbeziehenden dafür erheblich gestiegene Abschlagszahlungen über eine flexible Erhöhung des Regelsatzes nach § 27a Abs. 4 SGB XII ausgeglichen werden.

Die folgende Tabelle stellt die in den jeweiligen Regelsätzen (Regelbedarfsstufen) enthaltenen Euro-Beträge für Haushaltsenergie inklusive Kochgas (ohne Berücksichtigung der Kosten für dezentrale Bereitung von Warmwasser) dar. Erst wenn bei der Höhe der Abschläge diese Beträge erheblich überschritten werden (mindestens 20,- € / Monat), kommt die Beantragung eines Härtefallmehrbedarfs bzw. einer Anpassung der Regelbedarfe in Betracht.

Regelbedarfsstufe

Anteil der Stromkosten im Regelbedarf

2022

2023

1: Alleinstehende / Alleinerziehende

36,43 €

40,73 €

2: Partner*innen

32,81 €

36,83 €

3: volljährige Kinder (bis 25)

29,19 €

32,60 €

4: 14-17-jährige

19,09 €

21,32 €

5: 6-13-jährige

13,79 €

15,43 €

6: 0-5-jährige

8,06 €

8,99 €

1.2.4 Übernahme von Stromschulden bei drohender Energiesperre

Die Übernahme von Energieschulden im Rahmen der Wohnraumsicherung ist eine Ausnahmeregelung, um die drohende Notlage abzuwenden (Wohnungsverlust oder Unbewohnbarkeit der Wohnung infolge einer Energiesperre). Daher können (ausnahmsweise) Schulden übernommen werden, „soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist“ (§ 22 Abs. 8 S. 1 SGB II, sinngleich: § 36 Abs. 1 S. 1 SGB XII). In Bezug auf die Übernahme von Energieschulden ist nur die zitierte Ermessensentscheidung („Kann-Regelung“) vorgesehen. Eine weiterreichende Soll-Regelung, wie sie beim Eingang einer Räumungsklage beim Amtsgericht für die Übernahme von Mietschulden geschaffen wurde, existiert in Bezug auf Energiesperren nicht.

Neben den Unsicherheiten, die eine Ermessensentscheidung mit sich bringt, müssen für die Energieschuldenübernahme weitere Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Die zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten müssen ausgeschöpft sein, z.B. ein Ratenzahlungsangebot der/des Leistungsberechtigten wurde durch den Energieversorger abgelehnt. Oft werden vom Leistungsträger und dem örtlichen Energieversorger zusätzlich Abtretungserklärungen gefordert, damit die Forderungen direkt aus der zustehenden Sozialleistung an den Energieversorger transferiert werden kann. Wir halten diese Form der „Selbsthilfe“ für nicht zumutbar und rechtswidrig, weil sie vor dem Hintergrund einer drohenden Stromsperre i.d.R. auf keiner freiwilligen Entscheidung beruht und durch die oft zusätzliche Abtretung der sozialrechtliche Unterdeckungsschutz umgangen wird – oft bleibt den Betroffenen infolge der Aufrechnung von Darlehen und Überzahlungen zuzüglich der Abtretung nicht mehr das Allernötigste zum Leben.

    b. Die Stromversorgung muss durch die Übernahme der Schulden dauerhaft gesichert sein, d.h. die künftigen Abschlagszahlungen müssen vom monatlichen Einkommen des Leistungsberechtigten bzw. von seinen Sozialleistungen gedeckt sein.

Die Regelung des § 22 Abs. 8 SGB II gilt nur für Menschen im laufenden SGB-II-Bezug, für alle anderen Leistungsberechtigten und für Nicht-Leistungsberechtigte ist das Sozialamt nach § 36 SGB XII zuständig. Der einzige positive Aspekt der SGB-XII-Regelung: Hier können die Schulden als Beihilfe oder als Darlehen übernommen werden (§ 36 Abs. 1 S. 3 SGB XII), wobei die Sozialämter von der Beihilfelösung nach unserer Erfahrung zu selten Gebrauch machen. Ist jedoch z.B. bei älteren bzw. kranken Darlehensnehmer*innen oder Menschen mit Behinderung abzusehen, dass die Rückzahlung der Forderung mangels Hinzuverdienstmöglichkeiten nicht in einem absehbaren Zeitraum geleistet werden kann, sind die Voraussetzungen für die Gewährung einer Beihilfe erfüllt. In solchen Fällen lohnt es sich, gegen einen rechtswidrigen Darlehensbescheid Widerspruch einzulegen.

In vielen Städten gibt es gemeinsame Wohnraumsicherungsstellen, wo Mitarbeitende aus dem Jobcenter und dem Sozialamt zusammenarbeiten. Diese helfen jedoch meist nur bei Mietschulden und drohendem Wohnungsverlust, nicht aber, wenn es darum geht, durch die Übernahme der Energieschulden eine Sperre zu verhindern.

Weil die Hürden für die Übernahme der Energieschulden sehr hoch liegen und diese an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft ist, empfehlen wir nachdrücklich Nachforderungen des Energieversorgers zeitnah als Darlehen für einen von der Regelleistung umfassten, unabweisbaren Bedarf (§ 24 Abs. 1 SGB II, § 37 Abs. 1 SGB XII) zu beantragen. Der Leistungsträger hat ein solches Darlehen zu erbringen, wenn der Bedarf nicht unter Rückgriff auf bereite Mittel auf andere Weise gedeckt werden kann.